Das Umfeld prägt – warum wir nicht unterschätzen sollten, wer uns umgibt
- Marie Swoboda
- Sep 3
- 4 min read
Es gibt Sätze, die begleiten einen ein Leben lang. Einer dieser Sätze stammt von meinem allerliebsten Dozenten aus meinem Sozialarbeitsstudium. Er war jemand, den ich sehr bewundert habe – nicht nur, weil er ein großartiger Pädagoge war, sondern auch, weil er seinen Weg voller Entschlossenheit gegangen ist. Hauptschule, Ausbildung, Studium und mit Anfang 30 stand er bereits als Dozent vor uns an der Uni. Ein Mann, der wirklich Gas gegeben und sich etwas aufgebaut hat.
Und trotzdem sagte er im Soziologie-Seminar einmal diesen Satz, der mich bis heute beschäftigt:
„Wenn ich nach Hause komme, dann bin ich nicht der erfolgreiche Dozent, sondern wieder der kleine Stefan. Meine Mutter ist meine Mutter. Punkt.“
Dieser Satz hat mich tief berührt. Denn er zeigt so klar, dass egal wie sehr wir wachsen, lernen, reifen – unser Umfeld uns immer wieder zurück in Rollen bringt, die wir längst hinter uns gelassen glaubten. Zuhause war er nicht der Experte, nicht der Pädagoge, nicht der Mann, der alles erreicht hat. Zuhause war er einfach Stefan, der Sohn.
Wie das Umfeld uns formt
Ich habe das in diesem Jahr selbst extrem stark gespürt. Es war ein Jahr, in dem ich weit außerhalb meiner Komfortzone unterwegs war. Ich glaube, ich habe mich nur in meiner Komfortzone befunden, wenn ich im Haus war, gekocht oder geschlafen habe. Alles andere hat mich herausgefordert, hochgekickt, und wachsen lassen.
Ich habe so viel Neues gelernt, so viel ausprobiert, und ich bin ehrlich stolz darauf, wie eigenständig und kraftvoll ich geworden bin. Ich fühle mich schon lange nicht mehr wie „die kleine Marie“. Hinter mir steckt mittlerweile ein ganzes Fundament an Wissen, an Erfahrungen und an Stärke.
Und doch – wenn meine Mutter uns besucht, dann passiert wieder etwas Eigenartiges. Plötzlich ist die Dynamik eine ganz andere. Ich bin nicht mehr nur die Frau, die sich ein Leben aufgebaut hat, sondern auch die Tochter. Es ist wie eine unsichtbare Konstellation, die ihre Kraft entfaltet, ganz unabhängig davon, wie viel ich gelernt und erreicht habe.
Prägend sind nicht nur Eltern
Es ist aber nicht nur die Herkunftsfamilie, die uns prägt. Neulich war zum Beispiel meine beste Freundin für zwei Monate bei uns. Sie hat mich mit meinem Kind und den Tieren unterstützt. Es war eine intensive Zeit. Meine Freundin ist sehr meinungsstark, sehr politisch aktiv und engagiert. Themen, die mich sonst gar nicht so sehr bewegt haben, kamen dadurch ganz automatisch in meinen Fokus. Ich wurde sensibler, habe mehr hingehört, meine Perspektive erweitert.
Das passiert oft, ohne dass wir es bewusst merken. Wir übernehmen nicht nur Werte oder Sichtweisen, sondern auch Stimmungen, Umgangsformen und sogar innere Haltungen von den Menschen, die uns umgeben.
Das Umfeld als unsichtbarer Einfluss
Wir unterschätzen häufig, wie viel Einfluss unser Umfeld auf uns hat. Menschen, mit denen wir viel Zeit verbringen, prägen uns – ob wir wollen oder nicht. Wir übernehmen Sprache, Gestik, Meinungen und sogar Energie.
Und für mich ist das in den letzten Jahren noch einmal auf eine neue Ebene gekommen: Ich bin Mutter geworden. Und manchmal habe ich das Gefühl, es ist noch gar nicht vollständig bei mir angekommen. Aber eins merke ich sehr deutlich: Das Umfeld prägt mich in meiner Rolle als Mutter – und gleichzeitig bin ich selbst das Umfeld für mein Kind.
Das ist eine Verantwortung, die ganz schön groß sein kann. Denn so sehr wir auch erklären, ermahnen oder vorleben wollen – am Ende orientieren sich Kinder weniger an unseren Worten, sondern viel stärker an unserem Verhalten. Sie ahmen nach. Sie nehmen Stimmungen auf, die Art, wie wir mit anderen umgehen, und die Haltung, mit der wir durchs Leben gehen.
Und das ist manchmal schmerzhaft. Weil man merkt: Nicht alles, was ich erkläre, kommt an. Sondern das, was ich bin, prägt am meisten.
Doppelte Verantwortung
Das führt zu einem spannenden Blickwechsel: Wir schauen oft darauf, wie wir selbst geprägt werden. Wir überlegen, in welchem Umfeld wir uns bewegen, welche Menschen uns Energie geben oder nehmen, und was wir tun können, um uns zu schützen. Das ist wichtig und richtig.
Aber gleichzeitig sind wir auch immer das Umfeld für andere. Für Partnerinnen, Freundinnen, Kolleg*innen – und ganz besonders für unsere Kinder. Wir sind selbst Teil des Systems, das prägt. Und das bedeutet: Wir tragen Verantwortung. Verantwortung für das, was wir ausstrahlen, wie wir handeln und wie wir die Menschen um uns herum beeinflussen.
Die Sache mit der Wahl
Natürlich können wir nicht alles frei entscheiden. Es ist nicht so einfach, den Job zu kündigen, nur weil ein Kollege uns nervt oder unsere Energie runterzieht. „Mein Kollege ist ein Arsch, also bin ich raus“ – so funktioniert die Realität nicht. Aber – und das ist entscheidend – im privaten Umfeld können wir durchaus bewusster wählen.
Wir können prüfen:
Wer tut mir gut?
Wer saugt meine Energie?
Mit wem möchte ich wirklich Zeit verbringen?
Und wenn die Arbeitssituation wirklich so zermürbend ist, dass sie uns dauerhaft klein hält oder krank macht, dann ist es langfristig sinnvoll, nach Alternativen zu suchen. Schließlich verbringen wir dort den größten Teil unseres Tages.
Achtung vor Energieräubern
Ich nenne sie gern „Energievampire“. Menschen, die uns aussaugen, die unsere Energie klauen, die uns klein machen oder unsere Grenzen nicht respektieren. Solche Kontakte sind anstrengend und zehren auf Dauer an uns.
Das Gegenstück sind Menschen, die uns aufbauen, inspirieren, die uns zum Lachen bringen, die unser Herz weit machen. Bei ihnen fühlen wir uns lebendig, gesehen und verstanden. Genau diese Kontakte sind es, die uns wachsen lassen.
Und das bedeutet: Wir dürfen bewusst wählen, von wem wir uns prägen lassen – und gleichzeitig dürfen wir bewusst Verantwortung übernehmen, wie wir andere prägen.
Das Umfeld prägt uns – ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Es formt unser Denken, unser Fühlen, unser Handeln. Wir sind nicht unabhängig von den Menschen um uns herum, sondern in einem ständigen Austausch, in einem Energiefeld, das uns beeinflusst.
Deshalb ist es so wichtig, achtsam zu sein. Zu prüfen: Wer darf in mein Leben hineinwirken? Und wo darf ich Grenzen setzen, um meine Energie zu schützen?
Und gleichzeitig: zu erkennen, dass wir selbst ein prägender Teil des Umfelds anderer sind. Besonders für unsere Kinder. Wir sind Vorbilder – ob wir wollen oder nicht.
Denn am Ende entscheidet genau das darüber, wie sehr wir wachsen können – und wie sehr wir andere beim Wachsen unterstützen.

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