Schreien befreit – wie "laut sein" uns gesund hält
- Marie Swoboda
- Jul 9
- 4 min read
In einer Welt, in der wir früh lernen, „leise“ zu sein, ist Schreien fast schon ein Tabu. Besonders für Frauen, die oft mit dem Bild des „lieben, netten Mädchens“ aufwachsen, scheint laut sein nicht erlaubt. Und doch: Unser Körper kennt andere Bedürfnisse. Wenn sich Emotionen aufstauen, wenn Stress, Wut oder Überforderung überkochen, brauchen wir ein Ventil. Für viele ist es das Weinen. Aber was, wenn Tränen nicht kommen wollen?
Dann kann Schreien der Schlüssel sein. Laut, roh, direkt – und unglaublich heilsam.
Schreien ist mein absoluter Tipp
Ich liebe es zu schreien. Nicht aus Wut, nicht aus Hilflosigkeit – sondern als bewussten Akt der Selbstregulation. Für mich war es anfangs ungewohnt, fast fremd. Ich habe im Auto angefangen. Fenster zu, Autobahn, Motorengeräusche als Tarnung – und dann einfach raus damit. Diese eine Minute hat mehr gelöst als manche Gespräche. Irgendwann habe ich mich auch draußen getraut. Nicht mitten im Park, aber in der Natur, an Orten, wo niemand sich erschrecken würde (an dieser Stelle muss ich sagen: denk auch an die Tiere im Wald und Reiter ect. :D).
Das Gefühl danach? Frei. Leer. Klar. Und wieder bei mir. Ich kann wieder atmen.
Wenn Weinen nicht geht – geh schreien!
In meiner Arbeit als Coachin empfehle ich das Schreien besonders dann, wenn Weinen (noch) nicht möglich ist. Viele meiner Klient:innen spüren, dass da etwas festsitzt – aber sie kommen nicht ran. Tränen wollen nicht fließen, der Zugang zu den Emotionen ist blockiert. Und genau da kann Schreien helfen. Es ist ein körperlicher Akt, der nicht analysiert oder verstanden werden muss. Der Körper weiß, was er tut – und durch das Schreien kommt etwas in Bewegung.
Vorbeugung statt Eskalation
Schreien wirkt nicht nur, wenn’s brennt – sondern vor allem, bevor es brennt. Es ist ein Präventionswerkzeug. Ein Akt der Selbstfürsorge, der verhindert, dass angestaute Energie uns irgendwann innerlich zerreißt. Statt still weiterzufunktionieren, obwohl der Druck immer größer wird, können wir uns aktiv entladen. Wir können das Ventil öffnen, bevor die Explosion kommt.
Dabei geht es nicht um unkontrollierte Wutausbrüche oder um andere Menschen anzuschreien. Es geht um ein bewusstes, verantwortungsvolles Loslassen – in einem sicheren Rahmen. So, dass niemand verletzt wird. Und du selbst dich danach besser fühlst.
Wie aufgestaute Energie wirkt
Unverarbeitete Emotionen verschwinden nicht einfach. Sie setzen sich im Körper fest. Sie machen uns müde, reizbar, unkonzentriert. Die Schultern werden schwer, die Laune kippt schneller. Und auf Dauer kann angestaute Energie sogar krank machen – körperlich und seelisch. Der Mensch ist ein bewegliches System. Wenn wir diese innere Bewegung unterdrücken, entsteht Spannung. Schreien hilft, diese Spannung abzubauen.
Emotion - E(nergy) (in) motion, also Emotion meint, dass Energie in Bewegung ist. Ist sie es nicht entstehen Blockaden.
Wo du laut sein darfst – ohne Rücksichtslosigkeit
Alle Arten von Schreien können hilfreich sein:
– im Auto auf der Autobahn, wo es ohnehin laut ist,
– in der Natur, wenn du weit genug von anderen Menschen oder Tieren entfernt bist,
– ins Kissen, wenn du Zuhause nicht stören willst,
– oder mit Bewegung, z. B. beim Joggen, Tanzen, Boxen.
Wichtig ist dabei: Rücksicht. Achte auf Tiere, andere Menschen, Kinder. Nicht jeder versteht, dass ein Schrei auch Heilung sein kann. Aber du darfst dir deinen Raum nehmen – bewusst und achtsam.
Wenn du dich noch nicht traust, laut zu schreien, fang klein an. Atme kräftig aus, mach Geräusche, töne. Ein kehliges „Aaaaahhh“ kann schon viel lösen. Und manchmal reicht ein kräftiges „Nein!“ in deinen vier Wänden, um eine Grenze in dir zu markieren.
Warum wir das Schreien verlernt haben
Viele von uns – vor allem Frauen – haben früh gelernt, still zu sein. „Sei brav.“ „Schrei nicht so rum.“ „Reiß dich zusammen.“ Wir wurden konditioniert, angepasst zu sein. Und genau diese Prägung hindert uns heute daran, unser natürliches Ventil zu nutzen.
Aber wir dürfen umlernen. Wir dürfen wieder lernen, laut zu sein, Raum einzunehmen, uns Ausdruck zu verschaffen. Nicht um andere zu verletzen – sondern um uns selbst wieder zu spüren. Es geht um Selbstermächtigung. Um Lebendigkeit. Um Rückverbindung mit unserer Stimme und unserem Körper.
Schreien ist nicht nur Wut
Viele denken bei Schreien sofort an Wut. Und ja – auch Wut will manchmal raus. Aber Schreien kann noch so viel mehr sein: Es kann ein Ausdruck von Überforderung sein. Von Erleichterung. Von Schmerz. Von Lebenskraft. Oder einfach ein Moment, in dem alles aus dir raus muss – ohne Worte, ohne Analyse. Nur Klang. Nur Bewegung.
Und genau deshalb ist Schreien so kraftvoll. Weil es jenseits der Worte wirkt.
Erlaube dir, laut zu sein
Schreien ist kein Kontrollverlust – es ist ein bewusster Akt der Entladung. Eine Möglichkeit, dich zu befreien von dem, was du nicht mehr halten willst. Es ist ein Weg zurück zu dir selbst. Zu deinem Atem. Deiner Stimme. Deinem Körper.
Also frag dich mal:
Wann hast du das letzte Mal richtig geschrien?
Nicht aus Wut – sondern aus dem Wunsch, dich zu spüren?
Noch nie?
Vielleicht ist dann genau heute der Tag, an dem du dir diesen Raum schenkst.
Laut. Echt. Und ganz bei dir.
Los gehts!

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